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Nach meinem Japan- und Tokyoaufenthalt und insbesondere inspiriert von einer Ausstellung über Morandi, möchte ich folgendes Projekt verwirklichen: Der italienische Maler Morandi malte Zeit seines Lebens Stilleben; Variationen des immer Gleichen, Arrangements von leeren Flaschen und Gefäßen; in dieser Wiederholung füllte er die leeren Objekte mit Wahrnehmungsfragen und fragte nach den inneren Zusammenhängen von „Wirklichkeit“ und wie sie konstitutiert sein kann. Sein Leben war nur einer Sache gewidmet. Damit war er immer verwandt mit anderen Künstlern des 20. Jahrhunderts, die den Wiederholungsakt ins Zentrum ihrer Arbeit gestellt haben. In der Auseinandersetzung mit dem immer gleichen Thema hinterfragt Morandi auch den Weg des künstlerischen Arbeitens im Allgemeinen und den Arbeitsprozess als Resultat kleiner Verschiebungen der Körper und des Raumes im Speziellen. Eine Gruppe von Morandis Gemälde anzuschauen, kann daran erinnern eine Fuge von Bach zu hören. Er wiederholte bestimmte Gruppierungen immer wieder, wobei er jedesmal die harmonische Modulation variierte. Morandi war ein Komponist der Form, den die Wiederholung als Entdeckung des Neuen inspiriert hat. Komposition allgemein ist in der künstlerischen Arbeit ein ungelöstes Problem. In jeder kleinsten Abweichung und in der Wiederholung der Variationen hinterfragt Komposition die Wahrnehmung von Wirklichkeit. In der Wiederholung ritueller Gesten, jedes Mal gleich und doch jedes mal verschieden, kann man die Wahrnehmung der Wahrnehmung erkennen; was die Realität bedeuten kann für ein Individuum und sein Gedächtnis. Es sind die Variationen von Fugen mit einem Thema, dessen Möglichkeiten endlos sind. Das kann bedeuten, ein Objekt wie zum ersten Mal zu sehen; das Objekt ist immer das Gleiche, unsere Wahrnehmung jedes Mal eine Andere. Solch ein Thema führt zu der Frage, ob die Monotonie wie bei Morandi, gemeint ist die Wiederholung, eine Form der Objektivität ist. Stellt sich diese Frage auch in der Musik ? (Bsp : Morandi Recall Bach). Die eingeladenen künstlerischen Arbeiten können Ausdruck eines emotionalen Impulses sein oder ein durchdachtes Konstrukt. Die Wiederholung als Thema legt die Spuren der Vergangenheit in die Gegenwart. Wiederholung und Objektivität sind Begriffe, die eng miteinander verknüpft sind. Die Ausstellung möchte beide Begriffe untersuchen, um sich einer weiteren Frage zu nähern; Was passiert, wenn man Form und Materie voneinander trennt? Ist das in der visuellen Darstellung ebenso möglich wie in der Musik? Warum ist es sinnvoll Form und Materie voneinander zu trennen? Eine mögliche Antwort ist, dass Trennung Veränderung begreifbar machen kann. Wenn sich etwas verändert, muss auch etwas gleich bleiben. Ansonsten ist keine Veränderung zu beobachten, sondern nur voneinander vollkommen verschiedene Zustände. Das kann zB. bedeuten, dass sich die Materie verändert (der Inhalt), die Form aber gleich bleibt. Dieser Gedanke kann zu einer weiteren Frage führen; Was passiert, wenn die Trennung von Form und Materie (oder Inhalt) von der anderen Seite betrachtet wird ? Was passiert, wenn das Gleichbleibende nicht die Form, sondern die Materie oder der Inhalt ist ? Dann können formale Variationen einer in diesen Variationen miteinander identifizierbaren Materie entstehen oder eines in diesen Variationen miteinander identifizierbaren Inhalts. Die Trennung von Form und Materie (oder Inhalt) ermöglicht nicht nur ein Erklären von Veränderungen, sondern darüber hinaus ein Begreifen unterschiedlicher Formen von Inhalten oder Materie. Damit kann der Betrachter Perspektiven und Bedeutungsebenen begreifen. Das Betrachtete bleibt auch bei unterschiedlichen Perspektiven oder Betrachtungen mit sich selbst identisch, während unsere Wahrnehmung sich permanent verändert. Das Betrachtete ist die Materie, die in den unterschiedlichen Betrachtungen vorkommt, aber immer gleich bleibt, während sich die Sichtweise des Betrachters ständig neu definiert, immer davon abhängig wie er in dem Moment die Welt wahrnimmt. Deshalb kann er beim Beobachten des immer Gleichen etwas über sich selbst erfahren. Eine weitere These, die in der Ausstellung diskutiert werden kann ist, das Materie immer eine Form hat; nur muss Materie nicht immer betrachtet werden. Sie kann auch, ohne dass ein Blick auf sie fällt, in der Welt existieren. Da sie aber dann, zwar unbeobachtete Materie, aber dennoch Materie in der Welt ist, braucht sie wiederum eine Form. Welche Form hat die von keiner Perspektive betrachtete Materie in der Welt? Oder, wenn keine Perspektive mit allen Perspektiven identifiziert wird: Welche Form hat die von ALLEN Perspektiven betrachtete Materie in der Welt? Ist das die Idee des „leeren Raumes“. Gibt es die Idee des „leeren Raumes“ auch in der Musik? Dieser speziellen Status des „Leeren“, der zu einer besonderen Form des „Aufwachens“, zum plötzlichen „Erkennen“ führen kann, ist in Musik, Tanz, Visueller Umsetzung von Zeit und anderen künstlerischen Ausdrucksformen zu finden. Sie führt uns zum Begiff des „Living Joy“, der kunsthistorisch mit der Malerei von Matisse und Cezanne in Verbindung gebracht werden kann. Beide sind Zeitgenossen Morandis, die ihn stark inspiriert haben. Mit der Identifikation von Perspektive und Form kann die Verbindung von Form und Inhalt substantiell gelöst werden. Es ist eine Suche nach etwas, das jenseits aller oder in allen Perspektiven die Materie oder den Inhalt der Welt formt. Das Suchen danach kann auch die Tätigkeit sein, der immer wieder neuen Formung einer Materie oder eines Inhalts, wie es bei Morandi der Fall ist. Er zerschlug die Welt in Fragmente und rekonstruierte sie. Die philosophische Idee des vorgeschlagenen Ausstellungsprojektes ist, das die Natur des Raumes eine ist, die erweitert und verändert werden kann. In diesem Zusammenhang kann „Flachheit“ als eine mögliche „wahre“ Natur die Möglichkeit seiner Erweiterung und Veränderung bedeuten. Kann man diese Vorstellung „tanzen“ oder in welcher Form ist sie musikalisch umzusetzen? Morandi arbeitet konstant an Form. In Morandis Gemälden wird das Vergehen der Zeit gezeigt, im exakten Moment der Gegenwart. Zeit war das Thema, dem er sein Leben und seine Arbeit widmete. Er handelte und malte in einer kurzen Zeitspanne in endloser Wiederholung verschiedener Variationen. Morandi arbeitete an einer Sache. Die Arbeit an der Form war sein Fokus. Das reine Verfahren der Vereinfachung wie in Morandis Bildern war sein Weg, seine Wahrnehmung zu ordnen und zum Wesen der Realität vorzudringen. Er fragte danach, wie man die Wirklichkeit wahrnehmen kann. „Wir wissen, das alles was wir als menschliche Wesen, von der Objektwelt sehen können, nicht wirklich so existiert wie wir es wahrnehmen und verstehen.“ ( Zitat Morandi) Für ihn stehen die Teile für das Ganze, das unendliche Kleine spiegelt das unendlich Große. Die Welt im Kleinen ist für ihn die Welt im Großen. „Es ist nicht wichtig viele Dinge zu sehen – aber sich das was man sieht genau anzuschauen“. ( Zitat Morandi) „Ich habe herausgefunden, dass alles Unglück der Menschen auf der einzigen Tatsache beruht, dass sie nicht alleine in ihrer Kammer bleiben können.“ Das Morandi sich Grenzen gesetzt hat, sich Einschränkungen in der Auswahl der Gegenstände auferlegte, eine endlose Serie an Variationen eines einzigen Themas, das Stilleben, ausprobierte, entspricht einer Entscheidung. In diesem Sinn ist Morandis Leben Inbegriff des „Living Choice“, eine Form der Selbstbestimmung, die bei ihm fast mönchsartig einer Kontemplation gleichkommt, einer Reduktion auf das Einfachste, absolut Wesentlichste. Im Sinne von Cezanne und Matisse führen die Bilder den Betrachter jedoch nicht nur zur Kontemplation, sondern auch zur Lebensfreude, zur „Living Joy“, wie sie im Sinne von Cezanne und Matisse und ihren Bildern interpretiert werden kann.
Text: Maria Hinze
Danke an/thanks to: Reimund Mimuss