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In ihrer jüngsten Arbeit setzt sich Hinze mit der Suche nach Repräsentationsmöglichkeiten eines implosiven, brüchigen Beziehungsmodells von Materie und Energie auseinander, mit Dynamiken, bei denen sich eine eruptive Reaktion von innen heraus vollzieht und zu einem Zusammenbruch von Strukturen im körpereigenen System führen kann. Im Gegensatz zur Verbrennung, bei der Energie und Hitze größtenteils verloren gehen, saugt die Implosion Energie in einer spiralförmigen Bewegung in einen Wirbel. Hinzes Gebrauch von Inversionen in verschiedenen Disziplinen wie Malerei, Rauminstallation und Aktion folgt einem Interesse an der Implosion als thermodynamischem Prozess, welcher demjenigen ähnelt, der Tornados auslöst.
Für diese Ausstellung arbeitet Hinze multidisziplinär. Sie verwendet unterschiedliche Medien, die Geräusche, Töne, Filmrequisiten und Aktion im Aussenraum mit einbeziehen. Hinze spricht hier von „Aggregatzuständen“, wenn sie in ihrer Arbeit zwischen unterschiedlichen Medien hin- und her wechselt. In der aktuellen Ausstellung sind es Objekte, die nach einer Bewegung zu erstarren scheinen, oder Formen, die sich wie in Hinzes Aussenraumzeichnungen in Luft auflösen, oder Farbe, die sich in der Malerei fast bis zur Unsichtbarkeit verflüssigt. Dabei arbeitet sie nicht nur mit Inversionen mechanischer und physischer Prozesse, sondern kehrt auch Mechanismen ikonographischer Produktion um. Man fühlt sich an die Explosionsszene aus Antonionis „Zabriskie Point“ erinnert – und an die Idee ein persönliches Narrativ zu erfassen, dass sich mit der Veränderung von Materie im weitesten Sinn auseinandersetzt.
Eine Besonderheit der Ausstellung Notiz 14 ist die Kollaboration mit den Musikern Etkin Cekin, Saaela Abrams und Mike Moya, deren kumulative Arbeit Hinzes Arbeiten wie den Ausstellungsort selbst komplementär vervollständigen. Abrams (Portland, USA) hat Samples aus ihrer stetig anwachsenden Bibliothek aus Tönen und Geräuschen ausgewählt, welche die Basis einer Komposition von Etkin Cekin sind. Cekin (Istanbul, Türkei) geht auditiven Spuren von Implosion und deren physischen Prozessen in Natur und Maschine nach und setzt sich dabei mit dem menschlichen Zugang zu diesem Thema auseinander. Mike Moya (Montreal, Kanada) wird während der Ausstellungslaufzeit das Stück mit Gitarrenverzerrungen weiter bearbeiten.
Der Wechsel zwischen den Medien bewirkt eine Veränderung des Inhalts. Die körperliche Auflösung der gezeigten Zeichnungen im Aussenraum bekommt auf den photographischen Abbildungen ephemeren Charakter. Die Zeichnung wurde in Anlehnung an die Form des Broken Circle von Brigdet Riley (1963) durch die Laufbewegung der Künstlerin geschaffen und von einem Traktor nachgefahren. Sichtbar auf den Photos ist nur noch die maschinelle Spur. Spuren einer bereits erstarrten Verflüssigung zeigen auch große doppelseitige Metallplatten, deren Mitte mit einem großen Loch durchbohrt ist und die im Ausstellungsraum an den Wänden positioniert sind. Sie zeigen die Folgen eines Beschusses durch explosive Gewalt. Auf dem Boden sind deformierte Metallstücke als skulpturale Abstraktionen verteilt. Sie sind ebenfalls Zeugnisse einer gewalttätigen und unkontrollierten Kraft.
Im Gegensatz dazu wirkt die gezeigte Malerei fast homöopathisch. Die Farbe ist stark verflüssigt und in einer Sanftheit und formalen Reduktion ausgeführt, die der Wucht der Metallobjekte entgegen steht. Farbe als Medium erscheint nicht als direkter Farbauftrag, sondern wiederum nur als dessen Spur. Sie überzieht den gesamten Bildträger und löst sich fast vollständig auf. Auf den zweiten Blick zeigt sich die im Prozess der Bearbeitung entstandene Reliefstruktur der nur auf den ersten Blick zweidimensionalen Bildebene. Sie wirkt so räumlich, fast objekthaft in ihrem Bildcharakter. Durch Übertragungen und Umkehrungen hinterfragt die Ausstellung, mit visuellen und auditiven Mitteln, äußere und innere Kräfte und Druckverhältnisse, die Strukturen und Systeme zu einem Kollaps sowohl nach innen als auch nach außen führen können.
Hili Perlson
Acud Projektraum Berlin – Maria Hinze
Mit Etkin Cekin (Acudmachtneu, Farfara), Mike Moya (Godspeed You! Black Emperor, Hrsta), Saaela Abrams (Sound für Carla Bozulich, Godspeed You! Black Emperor)
Notiz 14
In her recent work, Maria Hinze explores the representational possibilities of a fragile, implosive system of relations between matter and energy. She probes the dynamics that perform an eruptive reaction from within, potentially causing the collapse of structure in the endogenous system. Unlike the process of combustion, where energy and heat are mostly wasted, the inward spiraling movement of implosions sucks energy into a vortex. Hinze’s use of inversions in disciplines such as painting, installation and action stems from an interest in implosion as a thermodynamic process, resembling the one that causes tornadoes.
Hinze’s multidisciplinary approach to this exhibition spans a variety of mediums including noise, sound, found objects, movie props and performance. Switching between mediums, Hinze refers to alternating states of aggregation in her work: The exhibition features objects that have consolidated after an action had been performed on them, forms that disappear – for instance in her landscape drawings – and color that is diluted until it’s nearly translucent on the canvas. She thereby inverts not only mechanical and physical processes, but also mechanisms of iconographic production. The explosion scene from Antonioni’s Zabriskie Point comes to mind. It evokes the conception of a personal narrative around the transition of matter, and change in a broader sense.
A unique feature of Notiz 14 is the collaboration with musicians Etkin Cekin, Saaela Abrams and Mike Moya. Their cumulative sound piece complements Hinze’s work as well as the exhibition space. Abrams (Portland, USA) has chosen samples from her ever-growing library of sounds and noises to form the basis of a composition by Etkin Cekin. Cekin (Istanbul, Turkey) investigates the auditive traces of an implosion within nature and machines. During the run of the exhibition, musician Mike Moya will further manipulate the piece with guitar distortions.
Transitions between mediums also alter the work’s nature. The photo documentation of Hinze’s landscape drawing imbues the captured corporeal action with its ephemeral character. The drawing references the form of Bridget Riley’s Broken Circle (1963). It was enacted by a tractor tracing the trail made on the ground by the movement of the artist. In the photographs, only the machine’s tire tracks are visible. Traces of solidified liquefaction are also evident on the large double-sided metal sheets, positioned against the walls of the gallery’s first room. They are punctured with holes in the center, hinting at having been pierced by an object shot at them with explosive force. On the floor, scattered pieces of deformed metal evoke sculptural abstractions that further evince the traces of a violent, ricocheting force.
In contrast, the exhibited paintings appear almost homoeopathic. The color is heavily diluted and is applied with a softness and formal reduction that is diametrically opposed to the violent energy conveyed by the metal objects. Color as a medium appears not as a direct application of paint, but here too, only as its trace. Faded almost completely, it covers the entire canvas. On closer inspection, the seemingly two-dimensional picture plane reveals its relief structure, created in the work process. It thus receives a spatial, almost object-like character. Through transfers and inversions, using visual and auditive means, the exhibition questions outer and inner forces and pressures that can lead to the inward or outward collapse of structures and systems.
Hili Perlson
Acud Projektraum Berlin – Maria Hinze
With Etkin Cekin (Acudmachtneu, Farfara), Mike Moya (Godspeed You! Black Emperor, Hrsta), Saaela Abrams (Sound für Carla Bozulich, Godspeed You! Black Emperor)
Übersetzung: Falko McKenna